Fest der Bewegungen



"Der theologische Ort der Bewegungen"

Referenten: Sr. Margareta Gruber, OSF              
P. Paul Rheinbay, SAC



Christus gemeinsam sichtbar machen

 

Fest der Bewegungen, Münster, 11. 3. 2001

 

M       Du, wo sind wir denn hier eigentlich?

 

P       So viel Leute habe ich bei der Predigt meist nicht vor mir!

 

M       Ich glaube auch nicht, dass wir hier predigen sollen.

 

P      Richtig, was haben wir denn hier eigentlich zu sagen - wir aus den alten Gemeinschaften Ihnen aus den jungen Gemeinschaften?

 

M       Dass sich unsere Ordensgründer, der hl.Franz und der hl.Vinzenz, - die wir ja in gewisser Weise vertreten - wohl sehr über dieses Zusammentreffen freuen.

 

Sie alle hier haben einander eingeladen, die Mitglieder der ganz unterschiedlichen geistlichen Bewegungen und Gemeinschaften, manche davon über 50 und fast 90 Jahre alt, andere noch keine 10 Jahre alt. Dazu ihre Pfarrer und Ordensleute und alle, die sich für diese neue kirchliche Realität interessieren, allen voran Ihren Bischof und den Superintendenten der evangelischen Kirche. Was wir im Video gesehen haben, die Schönheit der Kirche, ihre immer neue Lebendigkeit, das spiegelt sich in unserem Fest. Unsere Heiligen würden staunen, in welch vielfacher Weise Jesus in unserer Mitte sein will, nicht nur entlang der spannenden Geschichte der Kirche, sondern auch und gerade heute.

 

P       Dass hier so viele Gemeinschaften zusammengekommen sind, das fasziniert mich auch. Warum sind wir so viele? Wer sind wir - in unseren eigenen Augen - vielleicht sogar:

in den Augen Gottes?

 

M       Die geistlichen Bewegungen sind - so haben wir es gerade vom Papst gehört - Ausdruck des charismatischen Lebens der Kirche. Das heißt, alle, die zu einer der hier vertretenen Bewegungen und Gemeinschaften gehören, haben Anteil an einem ,,Charisma".

 

P       Das betrifft also nicht nur die Mitglieder der Charismatischen Erneuerung, sondern auch die anderen.

 

M       Alle. Charisma ist ein griechisches Wort und heißt: Geschenk. Das Wort, von dem es herkommt, heißt: charis, und das bedeutet: Zuwendung, Dienst in der Liebe; es steckt auch die Bedeutung Freude darin, Schönheit, Liebenswürdigkeit.

 

P       Hat nicht auch das Wort ,,Charm" damit etwas zu tun? Ist Gott charmant?

 

M      Ja, auch. In der kirchlichen Fachsprache nennen wir das etwas hölzern ,,Gnade" und hören dabei diese Dinge leider nicht mehr mit. Ein Charisma ist also ein schönes Geschenk aus der liebenden Zuwendung Gottes.

Alle Charismen haben einen gemeinsamen Ursprung: ,,In euch wohnt Gottes Geist" (Thema des Bühnenbildes). Alle Charismen sind Geschenke des Geistes Gottes. Von ihm kommt unser Leben und das Leben in unseren Bewegungen. Wir haben es nicht gemacht und können auch nicht darüber verfügen, sondern es nur immer neu von Gott  her empfangen. In seinen Geschenken schenkt Gott sich selber. Das Geschenk ist zunächst für mich ganz persönlich (Gott schenkt immer, um mir ganz persönlich etwas Gutes zu tun!) und für die Gruppe, die es empfangen hat. Aber damit es fruchtbar werden kann, müssen wir es weitergeben: an die Kirche und an die Menschen. So kann sich aus dem Charisma eine Vision entfalten, eine neue Sicht für den Plan Gottes mit der Welt. Jeder Mensch und insbesondere jeder Getaufte bekommt sie.

 

P       Und was ist mit den Gemeinschaften?

 

M       Außer diesen persönlichen Charismen, von denen etwa Paulus im ersten Korintherbrief redet, gibt es auch solche Geschenke, die dazu da sind, um in der Kirche eine Gemeinschaft, ein Werk oder eine Bewegung entstehen zu lassen. Solch ein (Gründer-)Charisma wird einem bestimmten Menschen gegeben, der jedoch meistens bald eine Gruppe von Freunden oder Freundinnen um sich hat. So war es etwa bei Franziskus, der mit seinen ersten Brüdern die franziskanische Bewegung ins Leben rief, die es nun schon seit 800 Jahren gibt. Und du bist ein geistlicher Sohn des Heiligen Vinzenz Pallotti, dessen Charisma der Kirche vor 170 Jahren geschenkt wurde.

 

P       Man könnte sich einmal vorstellen, wie die Charismenlandschaft im Jahr 2.200 oder gar 2.800 aussehen wird!

 

M       Die Phantasie Gottes wird die unsere noch weit übertreffen!

Uns alle hier - alte und neue, große und kleine ,,charismatische" Bewegungen -verbindet außer unserem Ursprung in der liebenden Zuwendung Gottes noch etwas: am Anfang unserer Bewegungen steht immer der Wunsch von Menschen, die von Gott fasziniert sind, das Evangelium radikal zu leben. Dieses muss jedoch in jede Zeit hinein wieder neu übersetzt werden. Und da hilft Gott nun mit seinen Geschenken nach denn ein Charisma hat die Kraft, das Evangelium wie neu zu lesen und zwar so, dass es wie Schlüssel und Schloss zur Situation der Menschen passt. Ein Charisma antwortet auf die Zeichen der Zeit, weil es darin Gott erkennen kann, der uns entgegen kommt.

 

P     So könnte man eine lange und spannende Geschichte erzählen, wie Gott mit Hilfe seiner Charismen das Evangelium in die Geschichte hineinbuchstabiert. Im Film vorhin haben wir ja etwas davon gesehen und vielleicht auch gestaunt über diese charismatische Seite der Kirchengeschichte. Und Gott buchstabiert heute natürlich weiter, mit jedem von uns, mit einem bestimmten Lebensstil, den wir gemeinsam entwickeln, der am Evangelium orientiert und durch ein Charisma geformt ist.

 

M    Man kann es auch mit einem Bild unserer technologischen Welt sagen: Der Geist Gottes liefert durch die Charismen der Welt immer wieder ein Up-date des Evangeliums. (Und Sie wissen, dass es gar nicht leicht ist, sein persönliches System immer kompatibel zu halten. Und Gott ist doch viel mehr als die Firma Microsoft der, der immer neu ist!) Nun gibt es nichts Vielfältigeres als das Wirken des Geistes - Paulus spricht einmal von der ,,Vielbuntheit" der Weisheit Gottes (Eph 3,10). Die Charismen Gottes sind so vielfältig wie das Wirken Gottes erfinderisch und die Freiheit des Menschen einmalig ist.

Die Erfahrungen des Evangeliums sind deshalb unterschiedlich; jedem geht eine andere Seite Gottes in besonderer Weise auf, ein ganz bestimmter Aspekt im Leben Jesu wird lebendig, ein bestimmtes Wort wird zum Schlüssel der Lebensdeutung und der Deutung der Welt.

 

P       Was war ein solcher Schlüssel für Franziskus?

 

M       Für Franziskus war es die Armut und Demut Gottes. Er sah sie in der Menschwerdung Jesu und in seiner Liebe am Kreuz und konnte nicht aufhören, darüber zu staunen. Er weinte, weil die Liebe Gottes nicht geliebt wurde; Ignatius wollte nach einer erschütternden Gotteserfahrung dem kreuztragenden Christus folgen und im radikalen Gehorsam Gott gegenüber die Menschen zu Gott führen. Die großen Gründer und Gründerinnen der kontemplativen Orden hatten den Wunsch, mit Christus in der Einsamkeit und im Schweigen des Gebets in das Geheimnis seiner Liebe zum Vater hineinzutauchen. Andere wiederum spürten, dass sie sich mit Christus bis an die Grenzen der Erde aussenden lassen mussten, wie z.B. Vinzenz Pallotti.

 

P      Er war davon überzeugt, dass alle Menschen aufgrund ihrer Gottebenbildlichkeit dazu berufen sind, die universale Liebe Gottes und seine große Barmherzigkeit weiterzugeben.

 

M       Die Heiligen sind wie ein großen Kommentar des Lebens, den der Heilige Geist zum Evangelium schreibt.

 

P       Sie zeigen uns, dass die Charismen vielfältig und deshalb erfrischend ,,einseitig" sind - dass sie das Ganze des Evangeliums von jeweils einer ganz bestimmten Seite beleuchten. So hat jedes einerseits mehr als die anderen, andererseits auch wieder weniger. Keiner hat alles, und keiner hat nichts; so verteilt der Geist seine Gaben.

 

M      Wir wollen deshalb nicht nur auf die großen Heiligen schauen, sondern auf uns. Ich würde Sie gerne fragen: Welches Wort des Evangeliums oder welche Seite Gottes ist in Ihrer Berufung oder in Ihrer Bewegung/Gemeinschaft besonders lebendig? Oder, wenn Sie nicht zu einer Gemeinschaft gehören, welches Wort der Schrift hat Sie schon einmal betroffen gemacht, lässt Sie vielleicht nicht mehr los?

Gönnen wir uns einen Moment der Stille und spüren dieser Frage nach

(Eine kleine Meditation miteinander: Kurze Stille, dann Murmelgruppen, insges. 4 Min)

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(evtl. Lied??)

Was käme heraus, wenn wir jetzt austauschen könnten? Wenn wir diese vielfältigen Geschenke miteinander betrachteten? Christus! Denn in jedem dieser Charismen bekommt Christus eine neue Gestalt, wird Christus sichtbar. (Hinweis auf die Christusikone auf der Bühne.) Das ist der Kern der Charismen: Das Geschenk aller Geschenke Gottes - Christus - wird gegenwärtig gesetzt durch den Geist Gottes, der ihn in der Kirche als Ganzer, in einzelnen Menschen und in Gruppen von Menschen gegenwärtig werden lässt. ,,Im Geist" ist der Auferstandene unmittelbar gegenwärtig, und zwar in uns und unter uns (auch jetzt in Hiltrup 2001).

 

P      Diese große Bewegung der Sichtbarmachung Christi durch den Geist geht durch die ganze Geschichte, wie wir gesehen haben. Sie beginnt mit den Aposteln und setzt sich fort in den Heiligen, in den bekannten und in den unbekannten. Sie wissen, dass das Konzil uns alle zur Heiligkeit beruft! In einem Vorbereitungsdokument zur Ordenssynode 1994 heißt es: ,,Die Nachfolge in der Jüngerschaft... erscheint ... wie ein Evangelium, das sich in Raum und Zeit entfaltet, (wie) ... Christus, der in der Kirche durch die Charismen der Heiligen gegenwärtig gesetzt wird" (Instr. lab. 43).

 

M       Auch in den neuen Charismen, die durch Sie hier vertreten sind, entfaltet sich Christus, bekommt er eine neue Gestalt und zwar für unser Jahrhundert. Dies macht die Schönheit unseres Treffens hier aus: Wir sehen in einander einen Wiederschein Christi, wie er sich in unsere Zeit hinein entfaltet.

Ich kenne nicht alle Ihre Gemeinschaften und Charismen und kann deshalb nur Beispiele nennen, wenn ich sozusagen Christus beschreiben wollte, wie er hier zu sehen ist. Sehen Sie sich aber alle in diesem Bild ,,drin": Unter uns ist Christus, der durch seinen Geist die Herzen lebendig macht, der seine Gaben zum Aufbau der Kirche schenkt, der im Geist zu Anbetung und Lobpreis befähigt.

 

P       Unter uns ist Christus, der den Vater um die Einheit bittet und sie im Augenblick seiner größten Liebe, in der Verlassenheit am Kreuz, der Welt schenkt.

 

M      Unter uns ist Christus, der die Menschen zur wahren Gotteskindschaft befreit und sie lehrt, Kinder des einen Vaters im Himmel zu sein; der uns dazu seine Mutter gibt.

 

P       Unter uns ist Christus, der arm und verachtet, behindert, ausgegrenzt und gefangen ist und der alle Menschen als Arme in seine neue Gemeinschaft ruft.

 

M       Vielleicht ahnen Sie bei dieser Betrachtung, was durch das Wirken des Geistes in den Charismen geschieht: die Kirche als die Braut Christi wird immer tiefer in das Leben Christi hineingeführt; sie soll durch diese Geschenke Gottes immer mehr - wie es in der mystischen Tradition der ,,alten Charismen" heißt, die ich auf unser heutiges Fest beziehen will - ein anderer Christus werden.

 

P       Christus ist aber immer ganz konkret; deshalb können wir uns jetzt in einem zweiten Teil fragen, wie Gott sein Evangelium heute buchstabiert, wie die Christusgestalt der Kirche heute aussieht? Was Können wir davon erkennen?

Vorab, ich möchte das ganz dick unterstreichen, was Du gerade gesagt hast: Es geht um den fortlebenden Christus. In seinen Gaben, in unseren Fähigkeiten, in der Lebendigkeit unserer Gemeinschaften schaut Er uns an, redet Er zu uns, ruft Er uns zur Umkehr, hält Er mit uns Mahl, versöhnt Er uns mit Gott, und Er - heilt. So wie vor 2000 Jahren, als das ganze Volk die Kranken zu ihm brachte.

Und wenn er heute Gemeinschaften ins Leben ruft, haben diese wohl eine Sendung zum Heil, einen Heilungsauftrag. Umgekehrt, wo das Heilwerden von Menschen geschieht, da erfüllen Gemeinschaften ihre Sendung, nach innen und nach außen.

 

M       Beim Stichwort Heilung denken wir meistens zunächst an Krankheit...

 

P       Heilung meint aber mehr. Wie es im Glaubensbekenntnis heißt: Propter nostram salutem

- der Wahlspruch deines neuen Bischofs von Schwaben; zu deutsch: um unseres Heiles willen ist Gott Mensch geworden.

So wie es in der Geschichte mit dem Gelähmten geschieht, für den seine Freunde Jesus ja sogar aufs Dach steigen. Und da spricht Jesus zuerst das Wort der Vergebung und dann kommt dieses wunderbare Wort: Steh auf, nimm Deine Bahre und geh nach Hause!

 

M       Mir fällt auf, dass der Glaube der Freunde des Kranken für Jesus eine wichtige Rolle spielt. Und noch eines, dass Schuld und Krankheit, inneres und äußeres Gelähmtsein hier ganz eng zusammen gehören.

 

P       Denn Leib und Seele sind eins; das wird ja auch in der Medizin mehr und mehr erkannt, und man sieht es auch vielen Menschen richtig an, wie sie im Herzen verletzt sind. So manche Lebensgeschichte ist gebrochen, und die Sehnsucht nach Gemeinschaft hat oft im Hintergrund das fehlende Erlebnis von Ursprungsgemeinschaft, von Familie, von Geborgenheit.

Ich glaube, da ist der heilende Jesus heute ganz präsent: wenn Menschen bei uns erfahren, dass sie in einer Gemeinschaft wertgeschätzt werden, wenn sie im gemeinsamen Beten, im Lobpreis, in der Anbetung spüren dürfen, wie innere Wunden heilen, wie der Glaube und das Beten der anderen, ganz wie im Evangelium, das heilende Handeln Jesu mit trägt. Wie auf einmal das aus Angst und Absicherung gebaute feste Haus um mich herum sich öffnet, wie der Blick sich weitet, der Himmel aufgeht.

 

M       Diese Erfahrung machen auch wir in unseren Gemeinschaften: Wenn Jesus suchende Menschen zu uns führt, dann bittet Er uns, dass wir mit diesen Menschen einen Weg des Heilwerdens gehen. Dass wir uns mit ihnen Ihm, dem Heiland, hinhalten; mit ihnen auch unsere eigenen Verletzungen und Grenzen spüren und aushalten, zu einer Heilungs- und Versöhnungsgemeinschaft werden.

Das bedeutet Gebet und viel Zeit für Gespräche. Das bedeutet, den ganzen Ballast ernst nehmen, den diese Menschen mit bringen. Bekehrung und Heilung ist ein Weg, geschieht nicht von heute auf morgen. Selbst ein gefühlsmäßig starkes Erlebnis von Nähe Gottes, von Umkehr, von Einheit, von Heil will eingeholt, ins Leben umgesetzt werden. Und verachten wir dabei auch nicht, was Medizin und Psychologie uns an Hilfen anbieten. Oft ist nur im Miteinander von solcher Hilfe und dem konkreten Leben, Beten und Begleitung in Gemeinschaft ein wirklich menschlich -spirituelles Reifen möglich; dann können Gefühle, Gedanken, Erinnerung, Herz und Verstand zueinander finden.

 

P       Apropos Verstand: Über eines freue ich mich in diesem Zusammenhang besonders:

Dass die Kopflastigkeit der west-europäischen Kirche in den jungen Gemeinschaften ausgeglichen wird. Dass hier die Welt eines glaubenden Herzens, eines Glaubens aus und mit dem ganzen Herzen sich neu auftut. Mit wie viel Unbefangenheit und Freude sprechen da Menschen von Gott und Seinem Wirken in ihrem Herzen! Und wie viel Weisheit wird deutlich da, wo Gemeinschaften zu lernen beginnen von behinderten Menschen, von den Armen und Fremden in unserer Gesellschaft! Wo sie in diesen den Herrn entdecken und auf einmal von Schenkenden zu Beschenkten werden! Und nicht aufhören können, von dem zu künden, wovon das Innere voll ist.

Umgekehrt bedarf das Innere des Menschen der Klugheit des Verstandes, der unter- und entscheidet. Auch die Welt der Gedanken und Ideen will geheilt werden. Theologie aus dem Glauben und in Gemeinschaft, so wie es in den ersten Jahrhunderten die Regel war, ist heilsam, ordnet, führt tiefer in das Geheimnis.

Gedanken führen weiter, wenn sie für das Undenkbare öffnen, faszinieren. Ob die Ordenshochschulen in Deutschland, und von einer derer kommen wir beide ja, hier eine Zukunft haben, vielleicht zusammen mit Ihnen, Gottsuchern in Gemeinschaft?!

 

M       Gottsucher in Gemeinschaft, das gefällt mir, das verbindet uns doch alle. Gottsucher in Gemeinschaft - wäre das nicht auch ein Ausweg aus dem Dauerkonflikt zwischen Selbstverwirklichung und Gemeinschaft, Individualismus und Dienst? Auch hier hilft natürlich kein Schwarz - Weiß - Denken. Es entspricht der Würde jedes einzelnen, das Ebenbild Gottes in sich auszu"bilden". Er kann auch in Gemeinschaft nur das sein und nur das geben, was er in sich selbst als Charisma, als Zuwendung und Gabe Gottes hat Wirklichkeit werden lassen.

Wir brauchen in unseren Gemeinschaften erwachsene, reife, im Gebet und im Leben erfahrene, beziehungsfähige Menschen.

 

P       Für uns ältere ,,Familien Gottes" hat da das Konzil eine wichtige Wegkreuzung bedeutet. Damals, vor 40 Jahren, haben wir angefangen, uns bewusst zu machen, dass es in unseren Hausgemeinschaften oft viel Struktur und wenig Leben gab, dass da oft entschieden und gehorcht wurde ohne gemeinsames Hören, dass so mancher Teil der Ordensregel mehr dem Buchstaben als dem Geist nach befolgt wurde. Wir haben gelernt, bei Entscheidungen die Betroffenen von Anfang an mit einzubeziehen. Wir haben Versammlungen eingerichtet, in denen die Ideen, Vorstellungen und Einwände von vielen gehört und berücksichtigt werden. Es ist mühsam und schön. Mühsam, weil es viel Zeit und liebende Offenheit für die Verschiedenheit der einzelnen fordert. Schön, weil nach einem scheinbar wilden Durcheinander von Vorstellungen oft etwas ganz Neues, Gemeinsames entsteht, wo dann viele, manchmal sogar alle sagen: Darauf kann ich mich von ganzem Herzen einlassen.

 

M       Das sind ganz wichtige Prozesse, man muss nur aufpassen, sonst kommt man am Ende nicht mehr dazu, den Blick über die eigenen Kloster- oder Gemeinschaftsmauern hinaus zu richten, weil man nur noch die Probleme der eigenen Gemeinschaft vor- und zurück wälzt und nicht mehr danach fragt: Für wen wollen wir als Gemeinschaft eigentlich da sein, zu wem wissen wir uns gesandt?

 

P      Viele von Ihnen stehen ja Ihren Mann und Ihre Frau da, wo Kirche sonst ganz wenig präsent ist. Wenden sich Menschen zu, denen kirchlich - traditionelle Räume eher fremd sind. Sind Zellen von Kirche, oft auf ungewohnte, radikale, herausfordernde Art mittendrin. Laden ein, junge Kirche als Gemeinschaft zu erleben. Wo ist das denn sonst heute noch möglich? Ich denke, das kommt indirekt auch der Ortskirche zugute. Christen, die Jesus in der Mitte der Gemeinschaft begegnet sind, werden ihn suchen wo immer sie stehen und leben. Werden sensibel für Seine verborgene Gegenwart auch in den mühsamen Wegen alltäglichen Christseins.

 

M       Bewegungen und Ortskirche, da gibt es vermutlich unterschiedliche Erfahrungen hier im Saal.

 

P       Ich bin überzeugt: Weder ist die Ortsgemeinde der einzige Ort christlichen Lebens noch sind Bewegungen und Gemeinschaften die Wundermedizin für die pastoralen Nöte von heute. Vielleicht sind sie aus ihrem gewollten und akzeptierten Eigenleben heraus so etwas wie eine Geistesquelle, ein Kraftreservoir, eine Glaubensschule.

Und bitte kein Konkurrenzdenken! Nicht zwischen Bewegung und Ortskirche, nicht zwischen alten und neuen Gemeinschaften, nicht zwischen kontemplativ und apostolisch Lebenden, auch nicht zwischen sogenannten Konservativen und Progressiven. Mir scheint, dass Gott in Seinem Wirken immer Spannungen einbaut, die zusammengehören und nur dann einen Sinn machen. Und wir - wir trennen das oft, sehen nicht mehr die feinen Fäden, die zwischen allem nicht erst noch geknüpft werden müssen, sondern schon längst da sind.

 

M       Ist das nicht an Pfingsten 1998 sehr schön sichtbar geworden?

 

P       Deshalb möchten wir zum Schluss gerne noch etwas über das Miteinander im Leib Christi sagen. Die ,,Ökumene" unter den Geistlichen Bewegungen ist an Pfingsten 1998 wirklich in eine neue Phase getreten - unser Fest ist eine Frucht davon. Mir scheint, dass dies ein extra Geschenk für die Bewegungen und für die Kirche ist - vielleicht das Jubiläumsgeschenk für die Bewegungen. Denn wenn alle Charismen verschiedene Gestalten des Einen Christus sind, wenn sie alle eine bestimmte Seite des Evangeliums buchstabieren (Blick auf Ikone und Evangeliar), dann braucht es die communio unter den Charismen, damit der ganze Christus, den wir miteinander darstellen, für die Welt sichtbar wird. Was Paulus für die Geistesgaben der Einzelnen sagt, gilt auch für die großen Charismen von Gemeinschaften und Bewegungen:

 

Gem     Sie sind auf die Einheit der Charismen im Leib Christi hin angelegt (1 Kor 12).

 

M      In unserer franziskanischen Schwesterngemeinschaft haben wir dies in den Jahren seit dem Konzil erfahren dürfen. Wir mussten uns irgendwann eingestehen, dass wir uns nicht aus eigener Kraft erneuern können, wie es das Konzil von uns wünscht: Aus den Quellen und aus der Berührung mit der Welt von heute. Dann merkten wir, dass uns die Gaben, die Gott heute der Kirche schenkt, helfen, um das Evangelium und auch Franziskus heute zu verstehen. Die Berührung mit anderen Charismen - und das war keineswegs immer ein spannungsfreier Prozess !! - hat uns mit der Zeit unsere eigenen, franziskanischen Wurzeln neu entdecken und tiefer verstehen lassen. Wir verdanken viel der Bewegung für eine bessere Welt (P. Lombardi), der ignatianischen GCL, der Charismatischen Erneuerung, der Fokolarbewegung und der Schönstattbewegung. Durch die Herausforderung der Bewegungen sind wir bessere Franziskanerinnen geworden - so hoffen wir jedenfalls. Wir mussten aber lernen, dass wir nie sagen dürfen: wir haben doch unsere Spiritualität, das genügt. Nein, gerade um als Franziskanerinnen lebendig zu bleiben, brauchen wir die lebendige Gemeinschaft mit den anderen Charismen in der Kirche.

 

P       Viele Berufungen kommen aus den neuen geistlichen Bewegungen und haben dort, und nicht durch Ordensleute, eine Erfahrung mit dem lebendigen Gott gemacht. Und sie suchen dann dieses Leben in den Orden: das gemeinsame Leben mit dem Wort Gottes, die Anbetung, das Teilen der geistlichen Erfahrungen in der Gemeinschaft, das gemeinsame freie Gebet, Jesus unter uns.

 

M       Ich habe den Eindruck, dass es Gott gefällt, dass sich alte und neue, alte und alte, neue und neue Charismen berühren, ja, dass er gerade dies heute von uns wünscht. Deshalb freue ich mich ehrlich gesagt auch, wenn wir die Schätze unserer Tradition mit den jüngeren Geschwistern teilen können: Wenn z.B. das Leitungsteam einer jungen Gemeinschaft in unserem Kloster Exerzitien macht, wenn Mitglieder aus neuen geistlichen Bewegungen, die oft ja an vorderster Front in der Welt stehen, den Raum der Stille und der Anbetung oder des geistlichen Gesprächs bei uns finden, oder wenn Sie heute uns beide zu Ihrem Fest einladen.

 

P       Auch im Apostolat gibt es sehr ermutigende Beispiele des Miteinanders. Man könnte viele schöne Dinge erzählen, z.B. dass wir beide jetzt an der selben Hochschule tätig sind zusammen mit Vertretern aus anderen Orden und geistlichen Bewegungen.

 

M       Auf diesem Weg sind wir aber immer wieder auf den gleichen Punkt gestoßen. Es geht nicht um eine ,,Fusion" im Sinn größerer Effektivität oder Schlagkraft nach außen, nicht einmal im Blick auf unsere heiligsten Ziele (Evangelisierung, Erneuerung der Kirche, Einheit der Welt...), sondern um einen geistlichen Weg, wieder um nichts anderes als den Weg Christi. Wie ist denn Jesus mit seinem ,,Charisma" umgegangen? Sein Charisma, wenn man so sagen kann, war seine Beziehung zum Vater, zu seinem Abba. Und dann? ,,Er war wie Gott, hielt aber dieses Gott gleich sein nicht fest wie einen geraubten Schatz ..." oder, wie wir singen: ,,Das Weizenkorn muss sterben, sonst bleibt es ja allein ..."

Es braucht die Gesinnung und den Mut Jesu, das eigene Geschenk, unser Charisma, nicht ängstlich festzuhalten, sondern es in einen gemeinsamen Weg der Suche nach dem ganzen Evangelium hineinzugeben, es zu riskieren oder in gewisser Weise sogar zu ,,verlieren".

 

P       Dabei ereignet sich keine Gleichmacherei, sondern etwas Neues, das Gott wirken kann, wenn sich Menschen - oder eben Bewegungen, Gemeinschaften, auf eine wirkliche Begegnung einlassen.

Was geschieht denn da, wenn das passiert, wenn wir die Welt mit den Augen des anderen sehen, uns selbst vergessen, die Wege verlassen und neu beginnen, ganz neu, wie es in einem Lied heißt?

Sehen Sie, das wüssten wir alle ja so gern. Aber keiner sieht vorher das Neue schon. Und deswegen fällt es vielen so schwer. Die Angst, irgend etwas Kostbares, was wir für unsere Identität halten, zu verlieren, die ist ganz tief in uns drin. Und deswegen kocht jeder sein eigenes Süppchen, jeder Einzelne und oft auch jede Gemeinschaft, die sich nicht von anderen in die Karten schauen lässt.

Hinzu kommt oft noch unsere eigene Binnensprache. Ist nützlich, weil sie für die ganze Gemeinschaft prägende Erfahrungen, geistliche Inhalte in wenigen Worten zusammenfasst. Ist schwierig für die Verständigung, manchmal schon von alt nach jung innerhalb ein und derselben Gemeinschaft.

Was können wir tun, um die Distanz zu verringern? Begegnungstage wie heute sind gut, bestärken, öffnen die Augen. Aber um Einheit zu leben, einladende Einheit, bedarf es des inneren Lichtes, dass wir nur im Miteinander der verschiedenen, jeweils ,,einseitigen" Gnadengaben das Antlitz Christi widerspiegeln können. Und da braucht es das Miteinander des täglichen Lebens. Wäre es nicht schön, wenn es einen oder vielleicht noch mehr Orte gäbe, wo Mitglieder verschiedener Bewegungen verbindlich zusammen leben. Da könnte dann am ehesten das passieren, dass einer, der das Charisma seiner Familie ganz in sich eingefleischt hat, dieses an einen anderen gibt, und dafür dessen Gabe, dessen Spiritualität empfängt.

Wer verliert hier, wer gewinnt? Was entsteht? Wer weiß das vorher?

 

M     Aber dazu bedarf es ganz viel Kraft von oben. Und die wichtigste Kraftquelle für diesen Weg ist das, was quer durch alle Gemeinschaften aufstrahlt: die Eucharistie. Wo wir unser Leib-Christi-Sein feiern. Wo wir in der Aussetzung uns selber Ihm aussetzen. Wo wir Ihn und in Ihm auch einander kommunizieren. Wo wir hören: . . .mein Leib, der für euch hingegeben wird; mein Blut, das für euch und für alle vergossen wird zur Vergebung. Wo genau das, Vergebung, Lösung, Heilung, geschieht. Wo wir eingeladen sind, uns in das Für Jesu hinein nehmen zu lassen.

In der Lebenshingabe Jesu für alle Menschen ist alles Miteinander schon begründet. In unserer Teilnahme an Jesu Sterben und Auferstehen gilt es, dieses Miteinander zu entdecken und zu leben. Dabei müssen und dürfen wir immer wieder unsre menschlichen Grenzen überschreiten, als Einzelne und als Gemeinschaft. Das braucht Fingerspitzengefühl und Demut.

 

P     Jesu Sterben und Auferstehen für alle. Wirklich für alle Menschen. Wie viel guter Wille ist in der Menschheit vorhanden! Leider beeindrucken uns ja viel mehr die Ereignisse, denen guter Wille fehlt. Könnten wir eine innere Nachrichtensendung empfangen, in der alles vorkommt, was so an einem Tag aus gutem Willen entstanden ist auf der ganzen Erde, wir würden staunen. Und noch mehr wohl darüber, wie dieser Wille weltweit gestärkt wird durch das genauso verborgene Gebet all derer, die sich Gott, die sich dem Absoluten in Ehrfurcht hingeben. Wie einen Grundwasserspiegel speist das Gebet wohl das Reservoir guten Willens, bewahrt vor Verzweiflung und Kleinmut.

Können wir in all dem Christus sehen, wie er sich abmüht für uns Menschen? Uns selbstlos über das Gute freuen, wo immer es ist? In der Erkenntnis, dass es bei den großen Anliegen unserer Zeit (Frieden, Gerechtigkeit, Schöpfung, Menschenwürde, Sinnfrage, Heilwerden) schon längst nicht mehr um die immer begrenzte Sorge einer Gemeinschaft, einer Kirche, einer Religion geht, sondern um Fragen der ganzen Menschheit?

 

M     Sehen Sie, wir, die Kirche, wir brauchen gelebte Beispiele, dass dies möglich ist. Dass es wirklich Jesu größte Sehnsucht ist, dass die Seinen eins sind. Und dass Menschen, die sich in diese Sehnsucht hinein verschenken, zu Ergriffenen werden.

Und neben allen pastoralen und strukturellen Bemühungen ist es wohl unersetzlich, dass es an möglichst vielen Orten möglichst viele Gemeinschaften von Christus - Ergriffenen gibt. Das verleiht allem Tun und allem Lassen eine andere Qualität, und die liegt nicht so sehr in den Worten, sondern vielmehr in den Zwischenräumen der Worte.

Und deswegen machen wir auch hier Schluss und wünschen uns mit Ihnen, dass diese Ergriffenheit uns die Augen öffne für das Wunderbare, das Jesus in Seiner Kirche wirkt, an so vielen Orten und heute, ganz besonders, auch hier.



 

Sr. Margareta Gruber OSF

P. Paul Rheinbay SAC 

Theologische Hochschule Vallendar / Rhein